Call for Papers (geschlossen)

“Es ist nichts zwischen uns.”* – Über die Produktivität des Konflikts im feministischen Widerstreit. 

“Einen Großkonsens zu erwarten war schon immer illusionär und wäre es auch heute, nichtsdestotrotz bedarf es zumindest eines geteilten Grundverständnisses über kritikwürdige Problemlagen und darüber, um was es gehen soll.” (Knapp 2018, S. 25) 

„Denn die Zukunft beginnt […] mit der Reflexion der Folgen, die verschiedene feministische Theorie-Ansätze nach sich gezogen haben.“ (Fleig 2014: 7)

Feministische Geschichte ist eine Geschichte der Konflikte, Debatten, Kämpfe und Trennlinien. So wissen wir von den Auseinandersetzungen der bürgerlichen und proletarischen Frauenbewegungen zur Klassenlage am Ende des 19. Jahrhunderts, die Clara Zetkin unter anderem damit begründete, “dass die bürgerlichen Frauen einen Kampf gegen die Männer ihrer eigenen Klasse führten, während die Proletarierinnen «in enger Ideen- und Waffengemeinschaft mit den Männern ihrer Klasse» für «die Beseitigung der bürgerlichen Gesellschaft« kämpften.” (Gerhard 2009: 66)  Wir lesen dahingehend von sozialistischen und kommunistischen Positionen, die die kapitalistischen Produktionsverhältnisse prinzipiell kritisierten; entdecken Gewerkschafterinnen, die sich aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen für eine soziale Absicherung der Arbeiterinnen einsetzten und hören von bürgerlichen Frauen, die vor allem Zugang zum und Teilhabe am Arbeitsmarkt einforderten. (vgl. Delap 2020) 

Im Zusammenhang mit der für den Kapitalismus notwendigen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung entstehen dahingehend auch Debatten um die Organisierung der sozialen Reproduktion, wobei sich die Diskussion im Speziellen am Thema der Haus(frauen)arbeit  entzündet. Während die Einen dabei Anerkennung und Lohn für Hausarbeit einfordern, sprechen sich Andere wiederum für eine kollektive Haushalts- sowie Wirtschaftsführung aus (vgl. Notz 2022: 19), die es ihnen ermöglicht, ebenso einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Mariarosa Dalla Costa kritisiert dabei in gewisser Weise beides, wenn sie 1971 schreibt: “Niemand von uns glaubt daran, dass sich die Emanzipation, die Befreiung durch die Arbeit vollzieht. […] Wer behauptet, dass die Befreiung der Frau der Arbeiterklasse darin liegt, eine Arbeit außerhalb des Hauses zu finden, erfasst nur einen Teil des Problems, aber nicht seine Lösung. Die Sklaverei des Fließbands ist keine Befreiung von der Sklaverei des Spülbeckens. Wer dies leugnet, leugnet auch die Sklaverei des Fließbands und beweist damit noch einmal, dass man, wenn  man die Ausbeutung der Frauen nicht begreift, auch die Ausbeutung der Männer nicht wirklich begreifen kann.” (Dalla Costa 2022: 53) 

Feministischer Widerstreit verhandelt jedoch nicht nur Fragen kapitalistischer Produktionsweisen und geschlechtsspezifischer Ausbeutung, auch Debatten und Konflikte um Gleichheit und Differenz, Ungleichheit und Ungerechtigkeit – sowie die Forderungen, die sich daraus ergeben – scheiden die Geister. 

In der Mitte des 20. Jahrhunderts verhärten sich die Positionen: Wer die Forderung nach Gleichheit stellt, sei zugleich Komplizin eines männlichen Maßstabs im Kapitalismus, der nur Angleichung und Maskulinisierung bedeuten könne. Diejenigen hingegen, die Differenz beanspruchen, hielten den geschlechtsspezifischen Antagonismus und Essentialismus zwischen Frau und Mann aufrecht. Was folgt, ist die Zeit der Dekonstruktion und Ausdifferenzierung. Die Konsequenzen: eine Ablehnung homogener, feministischer Positionen und Theorien sowie die Kritik einer Subsumtion der Strömungen unter der politischen Kategorie “Frau”.

Gegenwärtig stehen sich Klassen- und Identitätspolitik gegenüber (vgl. van Dyk, Susemichel/Kastner). Klassischer Feminismus gilt als überholt. Dior verkauft hochpreisige T-Shirts mit dem Spruch “We should all be feminists”, der eigentlich der Titel eines Buches der nigerianischen Autorin Chimamanda Ngozi Adichie ist. Begriffe wie “queer” und “intersektional” stehen unter Beschuss und manche Feministinnen* verlieren sich über ihre “Begierde, nicht dermaßen identifiziert zu werden” (Adamczak 2017: 218) in individuellen Bedürfnissen, die im Umkehrschluss kollektive Identität und gemeinsame politische Forderungen erschweren. Angelika Wetterer meint dahingehend “Prozesse der Verinselung” (vgl. Wetterer 2008) zu beobachten und Koschka Linkerhand attestiert eine “Sprach- und damit Streitlosigkeit zwischen verschiedenen feministischen Strömungen und Generationen” (Linkerhand 2018: 9). So beobachten wir häufig ein Reden “übereinander”, jedoch selten ein Reden “miteinander”. Die “Anerkennung der Kontrahentinnen […] und die produktive Auseinandersetzung mit konträren Positionen”, scheint einer Abgrenzung und Zuspitzung, Polemik und Provokation gewichen (Lux 2017: 31). So führen Abgrenzungspraktiken zur Auslöschung der notwendigen Verbindungslinien für ein geteiltes Grundverständnis über eine feministische Kritik an strukturellen Macht- und Herrschaftsverhältnissen. 

Dementsprechend möchten wir im Rahmen der Veranstaltung über die Produktivität des Konflikts im feministischen Widerstreit diskutieren und in diesem Zusammenhang auch in die feministische Geschichte als “offenes Archiv der Konflikte” (Maurer 2012:  80, vgl. Lux 2017) blicken. Wir hoffen dadurch, aktuelle Prozesse der Verinselung besser reflektieren und begreifen zu können sowie  perspektivisch der Sprach- und Streitlosigkeit in feministischen Debatten und Diskursen beizukommen. Wir wünschen uns anschließend an Gudrun-Axeli Knapp: “Engagierte Kontroversen, zugewandte[…][n] Widerstreit, der nicht harmonisiert, der von der widersprüchlichen Komplexität von Problemlagen ausgeht und nicht von der Identifikation mit Strömungen, die gerade >in< oder >out< sind”, denn diese seien “überlebenswichtig für das feministische Kritikprojekt in allen seinen Facetten.” (Knapp 2018: 30f.) 

Wir laden alle dazu ein, sich an der Veranstaltungsreihe zu beteiligen und ihr Wissen, ihre Perspektiven und Forschungsergebnisse mit uns und mit den anderen Teilnehmer:innen zu teilen und zur Diskussion zu stellen. Wir freuen uns über Einreichungen, die sich mit den umrissenen Debatten und Konflikten beschäftigen.

Mögliche Themenfelder können sein:

A – Konflikt- und Trennlinien feministischer Theorien und Bewegungen in (Global-)Geschichte und Gegenwart   

B – Räume feministischer Auseinandersetzungen (u.a. Institutionen, autonome und private Räume, Soziale Medien)

C – Rezeption und Aufarbeitung feministischer Konflikte (u.a. Wissenschaft, Kunst, Politik, Medien)

D – Produktivität und Konsequenzen feministischer Konflikte 

E – Strategien und Werkzeuge der Konfliktführung und -bewältigung (u.a. Theorie, Aktivismus, Lifestyle oder Mode, Zeitschriften/Magazine, Lieder, Parolen, Transpis) 

F – Gefühle, Erfahrungen, Affekte 

G – Wünsche, Träume, Utopien

Beiträge aus allen Fachgebieten sind willkommen. Die Beiträge werden im Rahmen eines 15-minütigen Kurzvortrags vorgestellt und anschließend diskutiert. Das Abstract sollte maximal 500 Wörter (dt. oder engl.) umfassen. Anstatt einer klassischen Kurzbiografie würden wir gerne mehr über eure institutionelle Eingebundenheit sowie euren utopischen Horizont erfahren. Hier maximal 300 Wörter. Bitte ordnet euch auch gerne einem (oder mehreren) der oben genannten Themen (A – G) zu. 

Fragen und Anregungen zum Call for Papers könnt ihr jederzeit an info@zwischeninstitutionundutopie.de richten.

Die Veranstaltungen sollen online am 18. und 25. Oktober 2023 sowie am 22. und 29. November 2023 um 19:00 Uhr stattfinden.

Einreichungen könnt ihr über untenstehenden Link bis 15.05.2023 auf unseren geschützten Sammel-Server (fetzenfisch.org) hochladen.

Literaturverzeichnis

Adamczak, Bini (2017): “Beziehungsweise Revolution: 1917, 1968 und kommende”. Suhrkamp Verlag, Berlin.  Dalla Costa, Mariarosa (1971): “Frauen und der Umsturz der Gesellschaft.” In: Dies. (2022): “Frauen und der Umsturz der Gesellschaft.” Gesammelte Aufsätze. Unrast Verlag, Münster. S. 35-71 Delap, Lucy (2022): “So sieht Feminismus aus.” Die Geschichte einer globalen Bewegung. Blessing Verlag, München.
Fleig, Anne (Hg.) (2014): Die Zukunft von Gender. Begriff und Zeitdiagnose: Campus Verlag, Frankfurt am Main.
Gerhard, Ute (2009): “Frauenbewegung und Feminismus.” Eine Geschichte seit 1789. Verlag C.H. Beck, München.
Knapp, Gudrun Axeli (2018): “Mut zur Kontroverse.” Feministische Kritik zwischen Antigenderismus und akademischer Spezialisierung. In: Beier, Friederike/Yashodhara Haller, Lisa/Haneberg,Lea (Hg.): “materializing feminism.” Positionierungen zu Ökonomie, Staat und Identität. Unrast Verlag, Münster. S. 19-38
Linkerhand, Koschka (Hrsg.) (2018): “Feministisch Streiten.” Texte zu Vernunft und Leidenschaft und Frauen. Querverlag, Berlin.
Lux, Katharina (2017): „Von der Produktivität des Streits – Die Kontroverse der Zeitschriften Courage, Die Schwarze Botin und Emma. Überlegungen zur Konfliktgeschichte der Frauenbewegung.“ In: Feministische Studien – Zeitschrift für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung Band 35, Heft 1, S. 31-50
Maurer, Susanne
(2012): “Utopisches Denken statt Utopie?” Gedankenexperiment und (unbestimmte) Grenzüberschreitung  als  feministische  Politik.  In:  Birkle,  Carmen/Kahl,Ramona/ Ludwig, Gundula/Maurer,  Susanne (Hrsg.):  “Emanzipation  und  feministische  Politiken.”  Verwicklungen,  Verwerfungen,  Verwandlungen.  Ulrike Helmer Verlag, Frankfurt am Main. S. 75-93
Notz, Gisela (2022): “‘Lohn für Hausarbeit’ in der deutschen Frauenbewegung.” Eine Einleitung von Gisela Notz. In: Dalla Costa Mariarosa (2022): “Frauen und der Umsturz der Gesellschaft.” Gesammelte Aufsätze. Unrast Verlag, Münster. S. 17-30
*Plath, Sylvia (1988): “Medusa.” In: Dies.: “Ariel.” Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main. S. 85f.
Susemichel, Lea/Kastner, Jens
(2020): “Identitätspolitiken.” Konzepte und Kritiken in Geschichte und Gegenwart der Linken. Unrast Verlag, Münster.
van Dyk, Silke (2021): “Identitätspolitik und ihre Kritiker*innen. Für einen rebellischen Universalismus.” (https://www.youtube.com/watch?v=GeLc8X5RB6w, letzter Zugriff 13.02.2023) + (2018) “Aktuelle Konfliktlinien innerhalb der Linken.” (https://www.youtube.com/watch?v=msSc0BcV8Bw, letzter Zugriff 13.02.2023)
Wetterer, Angelika (2008): “Geschlechterwissen & soziale Praxis.” Grundzüge einer wissenssoziologischen Typologie des Geschlechterwissens. In: Dies. (Hg.): “Geschlechterwissen & soziale Praxis.” Theoretische Zugänge – empirische Erträge. Ulrike Helmer Verlag, Frankfurt am Main. S.39-63